Antwort auf: 1×01 Aufbruch ins Unbekannte Teil 1 (Broken Bow Part 1)


#509974
garakvsneelix
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„Wo noch nie jemand zuvor gewesen ist…“

Mit diesen Worten beginnt mein Versuch, die (bisherigen) ST-Serien mal komplett in einer Reihe und am Stück zu schauen. Das habe ich vorher noch nie gemacht, auch wenn ich die Serien (bis auf TOS und TAS) auch nahezu komplett kenne, hatte ich aber, als großer SF-Fan, der ich nun einmal bin, immer vor. Jetzt ist das ja schon von Natur aus kein kleines Unterfangen, und unerwarteterweise wird es eventuell in den nächsten Jahren ein noch, noch viel größeres Unterfangen. Und bevor es mir so passiert wie bei SW – hier wollte ich auch immer mal alle Episoden am Stück schauen, als es noch 6 waren, habe es aber nie geschafft -, beginne ich nun meinen großen ST-Run. Doch selbst das funktioniert schon nur noch unter Vorbehalt, denn „Discovery“ werde ich nur einbeziehen, sollte die Serie bereits abgeschlossen sein, wenn ich chronologisch bei ihr ankomme (und das wird hoffentlich nicht passieren).

Bezüglich ENT gibt mir dieses Unterfangen, das bemerke ich gleich zu Beginn, eine neue Perspektive. Bisher habe ich es immer als Nachklang der Berman-Ära von ST geschaut, als „Deckel auf dem Topf“. Nun sehe ich es wirklich als chronologischen Beginn eines ST-Runs und das verschafft mir gleich bei der ersten Szene neue Einsichten: „Wo nie ein Mensch zuvor gewesen ist“ ist also der wirklich allererste Satz, den man hört, wenn man ST „chronologisch“ schaut – lediglich das Wort „Enterprise“ ist vielleicht noch stärker mit „Star Trek“ verbunden.

Dass der Satz von einem Kind gesprochen wird, ist hier im Kontext von ST tatsächlich metaphorisch für die gesamte Serie zu sehen: Die Menschheit befindet sich hier, intergalaktisch gesehen, noch in ihren Kinderschuhen. Man hatte erst vor gar nicht allzu langer Zeit das erste Mal Kontakt mit Außerirdischen und kennt sich noch nicht so sonderlich aus. Bezüglich der Raumfahrt in weit entfernte Gebiete hat man zwar lose Kommandostrukturen, aber es ist alles noch sehr „familiär“ – das erkennt man u. a. an der Vetternwirtschaft, durch die Archer Captain der Enterprise wird (sein Vater hat den Antrieb konstruiert) – und nur pseudomilitärisch.

Ich könnte mir vorstellen, dass man tatsächlich bei einem so langen Run bemerken wird, wie die Menschheit in ST wieder immer mehr in die militärischen Strukturen verfällt, die sie nach dem 3. Weltkrieg anscheinend abgelegt hat (mit Höhepunkt in DS9). Diese Art zu Beginn von ENT ist mir durchaus sympathisch. Ich habe Spaß daran, wie Archer mirnix dirnix eine lose Crew zusammenwürfelt und z. B. Phlox einfach aus dem Stand fragt, ob er gerne mitkommen würde.

Überhaupt gefällt mir insbesondere die erste Hälfte der Episode sehr. Da würde ich stellenweise sogar zur Höchstpunktzahl greifen. Als ein Beispiel möchte ich mal die Szene mit Tucker und Travis im „Sweetspot“ des Schiffes herannehmen: Das ist einfach eine sehr angenehme Szene, die a) Travis‘ Hintergrund verdeutlicht (er war „Weltraumnomade“), b) mit Trips ängstlichem Blick und seinem anschließenden „Na ja, ich versuche es mal doch“ genau diese kindliche Freude zeigt, die ENT zu Beginn ausmachen wird und c) auch noch ein wenig Humor einfließen lässt. Der erste Ausflug auf einen Planeten etabliert aber gleichzeitig, woran die genannte Kindlichkeit vielleicht scheitern könnte: Das Universum zeigt sich gleich als ein recht unwirtlicher Ort, an den man sich noch erst gewöhnen muss, wenn man wie Archer den Sonnenschein von San Francisco gewohnt ist.

Mit der Mission werden gleich mehrere Völker etabliert, von denen auch ein Erstseher zurecht ausgehen kann, dass sie noch ihre Rolle spielen werden:

– Die Vulkanier sind die Mentoren der Menschen, die aber den Kindern, wie jeder strenge Lehrer, auch ein wenig überheblich vorkommen. Hier frage ich mich aber schon, ob dem Erstseher das Wesen der Vulkanier wirklich klar wird. „Wo bleibt da Ihre Logik?“, fragt Archer und daraus kann man schließen, dass die Vulkanier vor allem logisch denken, aber es wird nicht explizit gemacht. Ähnlich ist das bei der Emotionslosigkeit der Vulkanier. Das ist insofern auch problematisch, weil diese Elemente der Vulkanier zwar in ENT schon da sind, aber noch nicht so derart ausgeprägt, dass man sie ohne weiteres direkt sehen würde. Nicht umsonst wird von Archer sogar noch direkt ausgesprochen, dass die Vulkanier hier teilweise ungewöhnlich „laut“ (=emotional) werden.

– Die Klingonen werden da schon besser durch einen Erklärbären eingebaut – gut, es passt halt auch zur Folge, dass Archer diese Informationen erst noch erhält und auch weitergibt. Ein Kriegervolk also, das gleich von Beginn an mit den aufwändigsten Kulissen bedacht wird. Hier sind sie aber eher eine Art MacGuffin, um Archers Mission anzustoßen.

– Die Suliban sind insbesondere deswegen interessant, weil sie ein Volk sind, das man selbst dann nicht kennt, wenn man ENT nicht als Einstieg in ST nutzt. Ihr Design ist ganz interessant, ihre Fähigkeiten machen sie zu einem Chamäleon. Und: Sie sind auf engste mit dem verbunden, was man hier als quer liegenden Handlungsstrang in ENT ausmachen kann: mit dem Temporalen Kalten Krieg.

Der Temporale Kalte Krieg. Hier bin ich jetzt ein wenig in der Zwickmühle, wie weit ich aushole. Vielleicht hat man es bemerkt: Ich versuche auch ein wenig, die Perspektive des ‚Erstsehers‘ einzunehmen. Das ist mir bei ENT besonders wichtig, da das auch zumindest teilweise mein Anspruch an ein Prequel ist: Es soll dem, der die anderen Franchise-Parts noch nicht kennt, bei allen Anspielungen auf Kommendes eine gute Basis geben. Diese Erstseher-Perspektive kann und will ich aber nicht einnehmen, wenn es um querliegende Handlungsstränge geht. Hierzu sind mir der Gesamtaufbau und die Auflösung einfach zu wichtig.

Ich bin ein großer Babylon-5-Anhänger und ja, auch wenn B5 gleichzeitig ein Beispiel dafür ist, wo es bei einem Gesamtplan auch mal Tücken gibt, habe ich doch eines gelernt: Es ist halt bei bestimmten Plots immer besser, zumindest zu wissen, wie man gewisse Fragen auflösen möchte. Und zu den Plots, bei denen das absolut wichtig ist, gehören Zeitreiseplots, wenn sie denn mehr umfassen sollen als eine einzelne Folge oder einen Zweiteiler. Denn bei ihnen ergeben sich direkt eine ganze Menge Fragen:
Warum reist der Zeitreisende, wenn etwas schief läuft, nicht einfach noch einmal noch weiter in die Zeit zurück?
Warum ist der Zeitreisende ausgerechnet ‚hier‘ und ‚jetzt‘?
Wie wirkt es sich auf die aktuelle Folge aus, wenn die Figuren in 2, 3 Staffeln etwas machen, was die Zeitlinie verändert?
Sprich: Gerade bei einem Zeitreiseplot ist zumindest ein wenig Vorausplanung wichtig. Sonst beschneidet man sich auch um die spannendste Variante des Erzählens von Zeitreiseplots: in Folge 1 schon die Auswirkungen von Folge 36 erzählen. Zumindest aber muss man zur Beantwortung der obigen Fragen aber auch immer ein wenig die nachfolgenden Episoden mitdenken.

Bei dem, was heute angestoßen wurde, ist es sogar so, dass man genaugenommen nicht produzierte Folgen mitdenken muss. Die Macher haben ja gesagt, dass sie in der 5. Staffel vorhatten, zu enthüllen, dass der ‚Black Guy‘ hinter den Suliban ein Romulaner sein sollte, der den Ausgang des Romulanischen Krieges, der in Staffel 5 oder 6 noch gefolgt wäre, entscheidend verändern wollte. Das klingt sehr, sehr reizvoll, bringt aber verschiedene andere Probleme mit sich:

Man muss sich im Kopf schon sehr angestrengt konstruieren, was die Suliban und die Klingonen damit zu tun haben sollen. Gut, ist jetzt vielleicht ein Problem, das wir haben, weil die konkrete Auflösung mit all ihren Details halt nicht über den Bildschirm geflimmert ist. Aber: Die Absetzung der Serie kam jetzt halt doch nicht sooo überraschend, damit ich das vollends mitberücksichtigen kann.

Mit dieser Auflösung, die so eben nicht geplant war, hätte man den ‚Black guy‘, die Suliban und alles, was noch so dazu gehört, irgendwie zu einem, wenn ich es richtig überblicke, absoluten Nebenschauplatz im Temporalen Kalten Krieg gemacht. Das ist halt erzählerisch nicht so wirklich geschickt und wird auch noch zu gewissen Problemen führen, sobald mal Zeitagenten der Föderation des 26. Jahrhunderts involviert werden.

Bitte nicht falsch verstehen: Es muss meiner Meinung nach nicht einmal alles aufgeklärt werden. Ich werde noch an anderer Stelle dazu kommen, wie man aus dem Temporalen Kalten Krieg ein wunderbares Mysterium hätte machen können, das – für ein Filmmysterium untypisch – keinerlei Auflösung bedurft hätte. Aber es ist nun einmal so: Während ich den Entdecker-Feeling-Part der Episode wirklich klasse und großartig fand und dabei sogar das ‚falsche‘ Design der Klingonen locker entschuldigen konnte, habe ich nun beim Rerun während der Suliban-Szenen halt einfach abgeschaltet. Mir ist etwas passiert, was mir sonst nie passiert: Ich wurde ein Teil der Second-Screen-Generation und habe aus Langweile lieber auf mein Smartphone gestarrt.

Und daher gilt es nun so: Ich muss dieser wirklich sympathischen, tollen Folge Punktabzug geben. Der fällt nicht allzu hoch aus, weil die Aspekte des Temporalen Kalten Krieges nicht allzu viel Platz einnehmen, und ich mich dazu noch einmal genauer äußern werde, warum manchmal der Abzug höher sein wird als woanders (das führt hier an dieser Stelle einfach echt zu weit), aber so gibt es halt nur

3 von 5 Punkte

(statt eigentlich 4 von 5, wobei die Episode stellenweise, gerade in den ersten 20 Minuten, sogar auf Höchstpunktzahlkurs war)